Hingabe und Spiritualität im BDSM

Solange man nicht wirkliche Gewalt anwendet, ist Keuschheit ein Spiel der Selbstbeherrschung.

Das ist für den Diener, der sich hingibt, äußerst erregend und kann der Halterin jede Menge Befriedigung bringen.

Selbstbeherrschung aus Hingabe ist eine Übung in Disziplin. Wächst die Disziplin, dann wächst mit der Hingabe auch die Begeisterung für die Unterwerfung.

In den seltenen Fällen, wenn der Diener das Talent dazu hat, führt ihn die Disziplin in eine besondere Ruhe.

Der Diener gibt dabei nach und nach immer noch mehr von seinem Widerstand auf, bis er sich der Wirklichkeit - im Inneren wie im Äußeren - vollkommen schutzlos ausliefert.

Das ist die Ruhe, die voll von Kraft ist. Der Diener wird wie ein gespannter Bogen, der den Pfeil zurückhält, wie ein Feuerdrache, der sich andauernd in seinem eigenen Feuer schmilzt, um angenehme Wärme für die Göttin zu schaffen.

Es steckt eine tiefe Religiosität in dieser Hingabe. Wer es lernt, sie in seinem Atem zu spüren, in seinen Emotionen walten zu lassen und in seinen Handlungen zu reflektieren, der wird sein Selbst überwinden und Erkenntnisse finden, die er nie für möglich gehalten hat.

Freilich ist das nur möglich, wenn die Dame bereit ist, mitzugehen. Sie muss die Hingabe annehmen und durch Schmerzen und Lust würzen: Ihre eigene Lust und ihr Vergnügen in den Vordergrund zu stellen, ist für viele Frauen die größte Hürde. Die Bereitschaft, diese Hürde gemeinsam mit dem Diener zu nehmen, ist eine andere Form von Hingabe.

Bei beiden wird durch die liebevolle Grausamkeit die Intuition gestärkt: die Verbindung zur rechten Gehirnhälfte wird stärker. Es kann passieren, dass brachliegende oder bisher unbekannte Talente entdeckt werden: eine Liebe zur Musik, zur Literatur oder zur Kunst. Museumsbesuche werden zu wunderschönen kleinen Abenteuern, weil alle Dinge mehr Bedeutung haben und Zusammenhänge besser erkannt werden. Der Diener steht vor dem Gemälde, und anstatt wie früher den Analysepinsel zu zücken, sieht er und nimmt auf, ohne zu denken. Er gewöhnt sich daran, die Impulse so aufzunehmen wie die Schläge, die Erregung und die Küsse, unhinterfragt und dadurch besonders wirksam.

Dazu kommt, dass die Königin mit den stärksten Empfindungen des Dieners spielt. Sie lernt, seine emotionale Klaviatur zu spielen wie eine Harfe. Der kreative Akt ist für sie genauso befriedigend, wie es für ihn die Zuwendung ist, die Aufmerksamkeit.

Scham, Schuld, Ängste... alles ist der Meisterin verfügbar, nichts darf ihr unzugänglich oder verborgen bleiben. Im Lauf der Zeit wird der Untertan sich ihr mehr und mehr öffnen, und sie wird die dunkelsten Regionen seiner Seele ausleuchten.

Viele Frauen haben noch nicht verstanden, dass viele Männer völlig ausgehungert sind, was Berührung und physische Zuwendung betrifft. Werden Frauen viel zu sehr nur in ihrer Sexualität gesehen, werden es Männer viel zu weniger. Da spielt ein alter Yon-Yang-Aspekt der Balance eine Rolle: Es ist nicht möglich, auf der einen Seite zu übertreiben, ohne dass es an irgend einer anderen Stelle zu einem Mangel führt. Frauen werden permanent übersexualisiert, während die Sexualität von Männern als gegeben wahrgenommen wird, allenfalls vielleicht als störend.

Wenn die Königin diesen Mangel begriffen hat, kann sie ihn ausbeuten wie ein Kapitalist, und kann ihn benutzen, um die gemeinsame Zeit für sich selbst - und demzufülge für den Folgsamen - besonders befriedigend zu gestalten.