SSC - Safe, Sane, Consensual?

SSC – das gute alte Szene-Mantra: Safe, Sane, Consensual. Es schallt von den Dächern hoch über den Folterkellern.

Wie viel wurde darüber schon geschrieben! Terabytes an Text füllen ganze Rechenzentren allein zu diesem Thema.

Also muss ich auch meinen Senf dazugeben. Schließlich lebe ich SM – und ich schreibe darüber.

Mir fällt auf, dass sich fast alle Diskussionen um den Konsens-Teil drehen.

Konsens ist vielleicht der wichtigste Aspekt, weil Menschen meistens nicht willentlich zu unvernünftigen und gefährlichen Handlungen einwilligen, und weil wir ihnen generell Eigenverantwortung zugestehen, falls sie es doch tun.

Konsens ist wohl auch der Aspekt, bei dem es am ehesten Missverständnisse und unterschiedliche Auffassungen gibt, und bei dem in der Vergangenheit besonders viel geschludert wurde.

Es fällt mir schwer, mir eine Handlung auszudenken, die zwar vernünftig ist, aber unsicher. Wenn die Herrin den Sklaven bis zur Bewusstlosigkeit würgt, ist das keines von beidem. Andererseits ist es durchaus möglich, in die Amputation des Geschlechtsteils einzuwilligen – und so eine Operation lässt sich auch einigermaßen sicher durchführen. Die Vernünftigkeit des Unterfangens kann man aber infrage stellen.

Vielleicht liegt es daran, dass Konsens direkt mit der menschlichen Psyche zusammenhängt – und uns Menschen solche Dinge naturgemäß am meisten beschäftigen.

Das ist natürlich Wortklauberei. In der Praxis geht es darum, sich zu fragen, ob man diese Fantasie, die sich im Köpfchen so geil anfühlt, umsetzen kann, ohne sich und andere dabei lebensgefährlich zu verletzen.

Wirkliche, echte, korrekte SMler werden sagen, dass wirkliches, echtes, korrektes BDSM immer konsensuell ist. Alles, was nicht konsensuell ist, ist per Definition nicht BDSM, sondern Gewalt. So ähnlich, wie ein gewaltsamer sexueller Akt streng genommen kein Sex ist, sondern sexualisierte Gewalt.

Stimmt schon. Nur: Alkohol setzt schon beim ersten Schluck die Entscheidungsfähigkeit herab. Und auf allen öffentlichen SM-Partys, die ich je besucht habe, wurde selbstverständlich Alkohol ausgeschenkt. Also waren alle Spiele, die auf diesen Partys – und später in diversen Schlafzimmern oder Heim-Dungeons – stattgefunden haben, kein BDSM, sondern sexualisierte Gewalt?

In den allermeisten Fällen sind die Beteiligten aus diesen Erlebnissen herausgegangen, ohne massive psychische Traumata oder dauerhafte physische Schäden davonzutragen. Wenn jeder Sex, der nach einem Gläschen Wein stattfindet, schon reine Gewalt ist – dann findet in heimischen Schlafzimmern so gut wie kein Sex statt.

Diese Meinung kann man natürlich vertreten. Nur ist dann die Konsequenz, dass der allergrößte Teil der erwachsenen Bevölkerung kein Problem damit hat, sich regelmäßig gewaltsam zu betätigen. Wenn dem so ist, wird die Unterscheidung zwischen gutem Sex und böser Gewalt zweifelhaft.

Ich sage all das nicht, um am SSC-Mantra zu kratzen. Der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, dass das alternative Mantra RACK diese Probleme nicht hat – weil es mehr auf individuelle Einschätzung setzt. Andererseits erfreut es sich allgemein nicht derselben Beliebtheit. Ich verstehe, dass Popularität für ein Szene-Mantra mindestens so wichtig ist wie philosophische Kohärenz.

In der Debatte geht oft unter, dass Konsens eine Eingangsprüfung ist – nicht schon die Meisterklasse. Ich hätte gerne, dass ein Mensch, der mit mir ins Bett geht, das nicht gerade so eben mal mit formeller Zustimmung macht, sondern mit Freude! Darauf zu achten ist nicht nur Ehrensache und rechtliche Absicherung, sondern auch eine Funktion meines Selbstwertes – dass ich mir mehr zutraue, als nur gnadenhalber zum Schuss zu kommen.

Es ist hilfreich, alle Mantras, Slogans und kurzen Sprüche eher auf ihre Intention hin zu verstehen, anstatt auf ihrer wortwörtlichen Auslegung zu beharren. Sie sind grobe Vereinfachungen – keine kasuistische Rechtsprechung. Zu allen ethischen Regeln (deontischer Natur) lassen sich Grenzfälle finden, die sie ad absurdum führen.

Im wirklichen Leben führen Menschenverstand, ruhige Analyse und Empathie recht weit. Die Mantras sind gute Wegweiser, keine absolute Wahrheit.